Verletzung der Menschenwürde von LGBTIQ Geflüchteten

Die skandalösen Vorkommnisse bei Polizei und BFA verweisen auf anhaltende strukturelle Probleme im Asylwesen und LGBTIQ Geflüchtete.

2018 gingen stereotype Befragungen von schwulen Asylsuchenden durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durch die (internationalen) Medien. Drei Jahre später sieht sich Queer Base – Welcome and Support for LGBTIQ Refugees wieder mit der Frage konfrontiert wie nachhaltig und konsequent Verbesserungen für diese besonders vulnerable Gruppe umgesetzt wurden und werden. In der zu ziehenden Bilanz sind leider Verbesserungen kaum bis gar nicht wahrnehmbar. Im Gegenteil wurde in mehreren Fällen die Menschenwürde von LGBTIQ Geflüchteten durch Befragungen in die sexuelle Intimsphäre verletzt und eine trans Frau gezwungen sich vor männlichen Polizeibeamten auszuziehen.

Der vom BFA in die Intimsphäre befragte Schutzsuchende sagt über sein Interview:
„Ich war sehr beschämt und schockiert, dass das BFA mich fragt, wie ich Sex mit meinem Partner habe. Als Mensch kann ich mir nicht erklären, warum sie so etwas tun. Es hat mich schwer bedrückt, dass das BFA mich nach solchen Details gefragt hat.“

Die Schulungen im Bereich sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität als Fluchtgrund haben zwar begonnen, aber in den letzten Jahren wurden nur 52 Referent:innen des BFA (freiwillig) geschult. Ob es Schulungen bei der Polizei gab ist unbekannt, die Standards der Ausbildung von Dolmetscher:innen lassen zu wünschen übrig. Nur 15% der vom BFA beauftragten Dolmetscher:innen haben eine Ausbildung. In wie weit diese trauma- und LGBTIQ-sensible Übersetzungstechniken beinhalten sei in Frage gestellt. Selbst wenn wir als anerkannte Organisation dem Qualitätsmanagement des BFA Eingriffe in die Intimsphäre – wie in den vorliegenden Verfahren – bekannt geben, scheint es, selbst nach einem Gespräch mit der Stabsstelle des BFA keine Konsequenzen zu geben.

Dr.in Marty Huber dazu:
„Befragungen in die sexuelle Intimsphäre oder Entblößen von trans Frauen durch männliche Polizeibeamte dürfen einfach nicht vorkommen. Gerade die Befragung zu sexuellen Praktiken ist rechtswidrig und es reicht nicht zu sagen, der Referent wäre überfordert gewesen!“

Die kürzlich veröffentlichte Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage an das BMI wirft jedoch weitere Fragen auf: Es wird etwa behauptet, dass in der Grundversorgung des Bundes auf besondere Bedürfnisse von LGBTIQ Geflüchtete Rücksicht genommen und an spezialisierte Einrichtungen zugewiesen wird. Dies deckt sich jedoch nicht mit unseren Erfahrungen: Selbst bei massiven Bedrohungen werden Klient:innen zwar verlegt, jedoch löst dies das eigentliche Problem nicht. So wird seit Jahren ein georgischer Schwuler (Antragstellung März 2019) von einer Einrichtungen des Bundes in die andere verlegt, weil es immer wieder zu Übergriffen und darauf resultierenden psychischen Problemen bis hin zur Suizidalität kommt. Das Problem wird nicht gelöst und obwohl es spezialisierte Unterbringungen gibt, wurden alle Anträge auf Zuweisung abgelehnt. Selbst bei trans Frauen ist eine sichere Unterbringung nicht selbstverständlich. Immer wieder kommt es vor, dass trans Frauen in Männerquartieren untergebracht werden, obwohl ihr äußeres Erscheinungsbild klar dem einer Frau entspricht. In anderen Fällen werden sie isoliert untergebracht, was zwar vor unmittelbarer Gefahr schützt, jedoch nicht den sozialen und psychologischen Bedürfnissen entspricht. In weiterer Folge werden trans Frauen immer noch in Quartiere auf die Bundesländer und in kleine Ortschaften verteilt, in denen nicht von einer Community-nahen oder gar spezialisierten (z.B. medizinischen) Versorgung ausgegangen werden kann.

Für LGBTIQ Personen ist die Flucht in Österreich noch nicht zu Ende, denn“ so Dr.in Marty Huber „jemand der oder die in der Unterkunft immer noch Angst vor einem Outing hat, hat in Folge auch Schwierigkeiten die Fluchtgründe vor dem BFA glaubhaft zu machen. Das ist kein fairer Zugang zu einem Asylverfahren!“

Im Kontext von vulnerablen Gruppen ist außerdem anzumerken, dass beschleunigte Verfahren gerade besonders schützenswerte Gruppen unter immensen Druck setzen. Menschen, die Vergewaltigungen, Folter, psychische und physische Gewalt überlebt haben (dazu gehören LGBTIQ in großem Maße) brauchen eine Einvernahmesituation, die nicht von grundsätzlichem Misstrauen und Zeitdruck geprägt ist. In diesem Zusammenhang ist die Annahme sog. „sicherer Herkunftsstaaten“ besonders problematisch. Binnen weniger Stunden kann entschieden werden, ob ein Antrag offensichtlich unbegründet erscheint. Aber oft sind „sichere Herkunftsstaaten“ für LGBTIQ* nicht sicher: In Ghana (bis zu 3 Jahre Haft), Marokko (bis zu 3 Jahre Haft), Algerien (bis zu 2 Jahre Haft), Tunesien (bis zu 3 Jahre Haft), Senegal (bis zu 5 Jahre Haft) und in Namibia steht Homosexualität unter Strafe, aber alle gelten laut Verordnung als „sicher“. Im übrigen setzt das BFA selbst dann auf Fast Track Verfahren, wenn eine Person von Anfang an angibt, queer zu sein, d.h. auch ein:e Homosexuelle:r aus Ghana kann u.U. innerhalb von 72h ein erstinstanzlich abgeschlossenes Asylverfahren haben.

Ein anderes, aktuelles Beispiel ist der Fall einer jungen, lesbischen Frau, die am Flughafen Wien ihren Asylantrag gestellt hat. Eine traumasensible Einvernahme würde auf die verschiedenen Aspekte von Vulnerabilität eingehen und erkennen, dass die Schutzsuchende aus einem Gebiet kommt mit international bekannten Menschenrechtsverletzungen gegen LGBTIQ und sie besonders als Frau aufgrund der patriarchalen Gesellschaft gefährdet ist. Das BFA entschied zuerst gegen ihre Einreise und erst durch eine Stellungnahme und weiteren Beweismittel durch unsere Organisation lenkt das BFA ein. Obwohl nicht aus einem sicheren Herkunftsland befand sich die Geflüchtete in einem beschleunigten Verfahren.

Dr.in Marty Huber: „Wir befürchten, dass diese Fälle beispielhaft für die im Regierungsprogramm geplanten Fasttrack-Verfahren für alle sind. Diese ‚beschleunigte Verfahrensabwicklung‘ führt zu einer Blackbox, die es besonders vulnerablen Gruppen verunmöglicht Mut zu fassen und sich entsprechende, spezialisierte Unterstützung und Vertretung zu sichern.“

Gerne wird von offiziellen Stellen und Politiker:innen das Ziel eines Asylwesens mit folgenden Worten beschrieben: Ein System für Menschen, die unseren Schutz wirklich brauchen.

LGBTIQ Geflüchtete wünschen sich, dass Grundrechte eingehalten werden. Der betroffene Asylwerber sagt dazu: „Ich hoffe, dass so etwas niemandem mehr aus der LGBTIQ Community passiert. Die Regierung muss Schritte setzen, um so eine Befragung in Zukunft zu verhindern.“

Queer Base – Welcome and Support für LGBTIQ Refugees als Organisation für lesbische, schwule, bisexuelle, inter und trans Geflüchtete fordert die politischen Entscheidungsträger:innen auf für ein konsequentes Qualitätsmanagement zu sorgen und eine Beschwerdestelle einzurichten, das Schulungsangebot für Polizei, BFA und BVwG entsprechend zu erweitern und verpflichtend einzuführen. Das BMI als Auftraggeber:in muss dafür Sorge tragen, dass Dolmetscher:innen entsprechend aus- und weitergebildet werden und Standards in der Übersetzung verlangen.

Auf europäischer Ebene zeichnet sich die offizielle Anerkennung von LGBTIQ Geflüchteten als besonders schützenswert ab, gerade in diesem Sinne ist baldige Umsetzung von Qualifikationsstandards von Nöten.

Aktuelle parlamentarische Anfragen:
Faire qualitätsvolle Asylverfahren für LGBTIQ und vulnerable Gruppen (5289/AB)Faire qualitätsvolle Asylverfahren im BFA für LGBTIQ-Asylsuchende (5342/J)

Entschließungsantrag:
Sicherstellung von fairen, qualitätsvollen Asylverfahren, vor allem im Umgang mit besonders vulnerablen Gruppen wie z.B. bei Flucht aufgrund von religiöser Konversion oder sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität 741/A(E)

Pressekontakt:

Ralph Guth +436602377808
Marty Huber +436602688399

https://friends.queerbase.at/allgemein-de/verletzung-der-menschenwuerde-von-lgbtiq-gefluechtete